An sich sollte man sich mittlerweile nicht mehr wundern, dass den Menschen in einem Zeitalter von Todes-Video-Postings, Hass und Gewalt in aller Öffentlichkeit, Fotos von gequälten Tieren und Menschen – und der vermeintlichen Haltung der meisten Leute genau dazu, „Anstand“ ziemlich stark aus der Mode gekommen ist.

Die Betonung liegt jedoch auf „sollte“, denn mich erstaunt es immer wieder, wie und was manche Menschen in der vermeintlichen Anonymität des Internets los treten – vollkommen akzeptiert von der Allgemeinheit.

Ich kann auch irgendwie noch nicht hinnehmen, dass es eine solche „Masse“ tatsächlich gibt und in unserem medialen Zeitalter Begriffe wie Höflichkeit, Courage und zivilisierte Kommunikation nicht nur out, sondern auch tatsächlich ‚geächtet‘ sind, wenn auch viele der obig Beschriebenen mit diesem Wort gar nichts mehr anfangen können.

Ich mag auch nicht glauben, dass die Eltern derer, die meinem Alter entsprechend sind, durchweg alle schlecht und damit Schuld sind, an der Entwicklung ihrer Kinder.

In meinen Augen haben es sich einzig und allein diese Kinder ausgesucht, so zu sein.

 

 

Und wer ein Anstandsgefühl bisher nicht entwickelt hat – ob mit oder ohne Zutun der Eltern, bekommt es in seinem Leben auch nicht mehr.

 

Ich habe mich jedoch damit abgefunden, dass es einfach Menschen gibt, die grundlos und unbekannter Weise dazu neigen, Fremde zu beleidigen – und das in einer Art und Weise, die wirklich Beispiellos ist.

Ich kritisiere aber auch, dass solche Menschen oftmals unterschätzt in eine Kategorie eingeordnet werden, der sie definitiv nicht angehören; denn trauriger Weise sind solche Leute selten einfach nur „dumm“.

– davon ab halte ich es für ziemlich anmaßend alle „dummen Menschen“ damit gleichzusetzen, „Anstandslos“ zu sein.

Eine solche Situation erlebte ich gestern – und ich muss es mir nun einfach von der Seele schreiben, weil mich das ganze Drumherum die Nacht über nicht hat schlafen lassen:

Ich habe ja schon mehrfach darüber berichtet, dass ich auf der Streaming-Plattform Twitch mehr oder weniger aktiv unterwegs bin – und war das gewohnter Weise auch am gestrigen Abend.

So sah ich mir einen Stream an, von einem Streamer den ich nicht kannte – traf dort jedoch auf viele Menschen, die ich bereits aus anderen Streams kenne und wo ich der Annahme war, dass trotz der Barriere Internet eine gewisse Akzeptanz, wenn nicht sogar Sympathie bestand.

Im Laufe des Abends sollte ich nicht nur diesbezüglich eines Besseren belehrt werden.

Um das kurz anzuschneiden, bieten Plattformen wie Twitch den idealen Nährboden für Menschen, die ich weiter oben beschrieben habe und es ist üblich, dass man vor allem wenn man selbst streamt, aber auch wenn man nur Zuschauer ist, des Öfteren „getrollt“ wird und wildfremde Menschen meinen, sie müssten Äußerlichkeiten, Sprachverhalten, Herkunft, Religion und und und zum Anlass nehmen, ausfallend beleidigend zu werden.

Doch bisher habe ich nie erlebt, dass für ein solches Verhalten tatsächlich „Partei“ ergriffen wird und war es eher gewohnt, dass es noch ausreichend Menschen mit Anstand und Courage gibt – sogar auf Twitch, mitten drin in der Anonymität des Internets, die sich betont gegen eine solche Art und im Besonderen gegen solche Menschen aussprechen.

Gestern jedoch, neu in jenem Stream, umgeben von Menschen die ich oftmals selbst supporte – oder regelmäßigen Zuschauern meines eigenen Streams, habe ich mich kurz gesagt sehr degradiert und verlassen gefühlt.

Mich bekümmert es nicht, wenn mich jemand fette Sau schimpft und meine Menschlichkeit darauf reduziert wird, wie viel ich wiege, esse, trinke, rauche, verdiene… Es bekümmert mich auch nicht, wenn jemand mein Aussehen zum Anlass nimmt, mich und meine verstorbene Familie darüber hinaus zu beleidigen und Charakteristika zu erstellen, die nicht nur Wesensfremd, sondern absolut unbegründet und haltlos sind. Und EIGENTLICH bekümmert es mich nicht, mit anzusehen, dass die Menschen sich zwar anständig geben und schlussendlich doch mit ansehen, wie jemand zu Boden getreten wird.

 

Ich empfinde dann meist nur eines und das bleibt Mitgefühl, für die Wesen, die sich in einer solchen menschlichen Hülle befinden müssen.

 

Aber jede Erkenntnis, z.B. die über obige Fakten und all mein Wissen über die Erfahrungen mit den Menschen, sogar meine enttäuschten Erwartungen an die „Menschlichkeit“; die augenscheinlich nicht mehr dem entspricht, was ursprünglich mal mit >>M E N S C H L I C H K E I T<< umschrieben wurde, verhindern nicht meine Fassungslosigkeit, in welche Richtung die Menschen, in meinem direkten oder gewählten Umfeld, sich bewegen.

Ich bin dann „sprachlos“ und kann einfach nicht verstehen, dass so ein Verhalten nicht ausgebuht sondern beklatscht wird – und ich will nicht akzeptieren, dass es soweit mit uns allen gekommen ist.

Ich für meinen Teil, ob nun fett, hässlich oder dumm, werde IMMER aufstehen, wenn jemand vor meinen Augen degradiert und angegriffen wird.

Ich werde auch immer etwas sagen, wenn ich der Meinung bin, dass eine Frage der „Menschlichkeit“ im Raum steht.

Ich werde niemals „Hurra“ schreiend stumm werden, weil mich jemand „donated“ hat, oder an irgend einer Stelle coole Giveaways verteilt – und im Anschluss jemanden nicht nur persönlich, sondern vor allen Dingen in der Öffentlichkeit, beleidigt, degradiert und in den Dreck zieht.

…so gut könnte mich niemand „donaten“.

Ich werde immer erst darüber nachdenken, ob ich jemanden angreife, wenn ich dieses oder jenes sage und schreibe.

 

Kurz: ich werde immer der anständige Mensch bleiben, der ich bin.

 

Wenn auf der anderen Seite stehen heißt, dass man Opfer solcher Attacken bleibt – zudem aber auch ausführende Gewalt, betont gegen solche Menschen ist, dann bleibe ich lieber hier in meiner zugefetteten Welt, die trotz der Überfettung genügend Raum für die Menschlichkeit bereit gehalten hat.

Ich weiß Ihr seid im realen Leben ganz anders, bekommt wahrscheinlich nicht mal die Schnauze auf, wenn jemand vor euch steht, der meinen Äußerlichkeiten ähnelt.

Und ich weiß, dass ihr euch irgendwann ganz schrecklich dafür schämt, solche Menschen gewesen zu sein.

– aber nur wenn sich eure Empathie weiter- und sich eure Menschlichkeit entwickelt hat.

Wenn nicht, bleibt ihr wohl weiterhin die Menschen ohne Menschlichkeit – und habt gar nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt.

 

Denn ein Mensch, der kein Mensch ist:

ist eben gar nichts.

 

 

 – Kira 🙂