Ihr Lieben,
einige Zeit kam wieder nichts „Neues“ von mir, was mit Sicherheit damit zusammenhängt, das recht selten wirklich „neue“ Dinge passieren in meinem Leben.
Hier nun jedoch mein Versuch, die vergangene Zeit ein wenig in eigene Worte zu fassen:
Zuletzt schrieb ich über meinen Geburtstag und die vermeintlichen Emotionen, die dieser jedes Jahr auf’s Neue in mir auslöst. Ich sprach von Einsamkeit und der Sehnsucht nach meiner Mutter, die in meinem Leben eben nicht nur Mama, sondern zudem auch meine einzige Familie war.
Nur wenige Wochen danach erhielt ich, wie bereits erwartet, erneut Post von meiner „großen Schwester“ – mit der ich mittlerweile seit über zwei Jahren kein einziges Wort mehr gesprochen habe.
Im Kern sind ihre „gute Laune“-Briefe immer gleich und bleiben Sinnbild ihres wiederkehrenden Versuchs, vergangene Dinge zu beschönigen und verfolgen den Zweck, in mir das Bedürfnis zu wecken, genau dort nach „Familie“ zu suchen, wo schon seit vielen Jahren nichts mehr ist.
Sie berichtete mir – natürlich viel zu spät dafür, dass ich selbst hätte entscheiden können daran teilzunehmen – von der Taufe meiner kleinen Nichte, die so klein nun auch nicht mehr ist und auch, dass sie sich ja immer gewünscht hätte, mich als Patentante einzusetzen.
Auch spricht sie von „Vergebung“ und beteuert ihre tiefen Gefühle für mich, die ich jedoch in den vergangenen zehn Jahren nie zu spüren vermochte und daher auch mit ziemlicher Bestimmtheit in Frage stelle.
Sie redete von neuen Chancen und der Möglichkeit die Vergangenheit ruhen zu lassen.
In der Tat haben mich ihre Zeilen viele Tage lang beschäftigt und lösten in mir das Bedürfnis aus, selbst den Stift in die Hand zu nehmen und zu schreiben.
Insgesamt habe ich sicher fünf Mal angefangen – und in den begonnenen Briefe war so ziemlich alles vertreten: mal war ich wütend, mal erkaltet und gleichgültig – es gab sogar einen Brief, der eine versöhnliche Note hatte; schlussendlich vollendete ich jedoch einen Brief, der wenigstens von meiner Seite nichts an meiner vorhergehenden Entscheidung zu ändern im Stande ist: dem Endgültigen.
Nachdem ich den Brief einige Wochen lang verschlossen auf meinem Schreibtisch parkte und mir stets darüber klar werden wollte, ob dieser Brief nun wirklich das beschreibt, was ich empfinde und wünsche, schickte ich ihn letztlich ab – und kann doch seither kaum an etwas anderes denken.
Der letzte Brief war nicht mehr böse und vorwurfsvoll. Er war in der Tat endgültig, aber zufrieden – abgeklärt, bestimmt und entsprach – leider – in jedem Wort nur der reinsten aller Wahrheiten.
Seither beschäftigt mich dieses Thema.
Nicht die Frage, ob ich einen Fehler gemacht habe und meiner Schwester doch lieber hätte vertrauen sollen – sondern einzig und allein ich, in mitten dieses Lebens.
Zweifellos liebe ich meine Schwester, als den Menschen, der sie irgendwann einmal, vor ihrer Drogenabhängigkeit, gewesen ist. Und ich denke unglaublich oft an sie und meine kleine Nichte.
Einen Bezug habe ich jedoch nicht – die Kleine bleibt für mich stets nur die unbekannte Fremde, die unerreichbar ist und auch immer bleiben wird.
Ich schrieb: „manchmal schließen wir eine Tür, die sich nicht mehr öffnen lässt“ – und ich bedauere es, einen solchen Satz schreiben zu können.
Von außen ist es ja schließlich meine Schwester – und da gibt es angeblich dieses Band und so weiter.
Ich selbst kenne ein solches Band nicht – und das bedauere ich.
Ich hoffe, dass alle Menschen da draußen irgend wen haben und ihre Geschwister um sich wissen dürfen.
Es ist ein sehr einsames Gefühl, in meinem Alter über die Zukunft nachzudenken und kein bekanntes Gesicht aus der Kindheit in der Vorstellung entdecken zu können – wirklich.
In der Absicht nicht erst wieder in einigen Monaten zu schreiben,
Euer Ich
– Kira 🙂